Interview

Nachhaltigkeit sichtbar machen: Die Green ID-Zertifizierung in der Radiologie

Zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16. April 2025

Wie kann Radiologie nachhaltiger werden – ganz ohne radikale Umstrukturierung? Dr. Kalinka-Grafe erklärt, warum die Green ID-Zertifizierung ein wichtiger Schritt in Richtung umweltfreundliche Medizin ist und welche Chancen sie für Teams und Kliniken bietet.

Frau Dr. Kalinka-Grafe, worum geht es bei der Zertifizierung, und was ist der Hintergrund?

Die ESR Green Imaging Department (ID) Zertifizierung ist ein Nachhaltigkeitsprogramm, das auf europäischer Ebene von der European Society of Radiology (ESR) entwickelt wurde.

Die Klimakrise ist mittelfristig die größte Bedrohung für unsere Gesundheit und ca. 6 % der weltweiten Emissionen kommen aus dem Gesundheitssektor. Wir als Ärzte arbeiten nach dem hippokratischen Grundsatz „primum non nocere“ – das schließt unsere Patienten und die uns alle umgebende Umwelt ein.

Ziel des Programms ist es, radiologische Abteilungen in ganz Europa dazu zu motivieren, systematisch umweltfreundliche Praktiken in ihren Alltag zu integrieren.Hintergrund ist die Erkenntnis, dass das Gesundheitswesen – und insbesondere bildgebende Verfahren – eine bedeutende Umweltbelastung darstellen. Jede Bildgebung bedeutet einen Gebrauch und Verbrauch von Ressourcen z. B. von Energie, Kontrastmittel, Einmalartikeln und Verpackungsmaterialien. Patienten und Mitarbeitende nehmen zum Teil lange Fahrtwege zu Kliniken und Praxen in Kauf.

Ziel des Programms ist es, radiologische Abteilungen in ganz Europa dazu zu motivieren, sich ihrer Rolle im globalen Gesundheitssystem bewusst zu werden und systematisch umweltfreundliche Praktiken in ihren Alltag zu integrieren.

Mit der Zertifizierung will die ESR:

  • Bewusstsein schaffen für Nachhaltigkeit in der Radiologie
  • konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen
  • und aktive Teams sichtbar machen, die sich für mehr Umweltschutz im klinischen Alltag einsetzen.

Wie aufwendig ist der Prozess?

Der Aufwand des Antrages der Green-ID-Zertifizierung ist je nach Vorarbeit überschaubar und skalierbar – besonders in der Pilotphase. Der Zertifizierungsprozess ist als Selbstevaluierung konzipiert und lässt sich gut in den Klinikalltag integrieren:

  • Die meisten geforderten Nachweise bestehen aus kurzen Beschreibungen oder Fotos (z. B. von Postern, Geräten, Maßnahmen).
  • Es können bestehende Maßnahmen verwendet und dokumentiert werden.
  • Eine zentrale Koordination durch ein kleines Team oder eine Nachhaltigkeitsarbeitsgruppe in der Abteilung ist hilfreich.

Ein großer Vorteil: Der Prozess ist auch ein Anstoß zur systematischen Reflexion und Weiterentwicklung interner Abläufe – ohne sofortige Umstrukturierungen erzwingen zu müssen. Wir haben uns anhand der ESR-Checkliste in einer Arbeitsgruppe, bestehend aus unserem Klimamanager, dem Klimabeauftragten der Abteilung und der Abteilungsleitung, zusammengesetzt und den Ist-Zustand der Abteilung in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung erstmalig systematisch erhoben, dokumentiert und in den Teamsitzungen kommuniziert.

Was lässt sich damit erreichen oder gewinnen?

Die offizielle ESR-Zertifizierung (Green ID) ist ein anerkanntes europäisches Gütesiegel für nachhaltige Praxis zur Verbesserung der Umweltbilanz des Instituts durch konkrete, realisierbare Maßnahmen. Bei der Vorbereitung der Zertifizierungsunterlagen konnten wir mit Stolz feststellen, welche Maßnahmen wir schon erfolgreich umsetzen. Desweiteren haben wir Ideen und Anregungen für weitere Projekte und Strategien erhalten. Die gemeinsame Ausarbeitung fördert die Motivation und Teambuilding durch gemeinsame Nachhaltigkeitsziele und stärkt das Image der Abteilung bei Patienten, Klinikleitung und Partnern. Möglich ist eine Kostenreduktion durch effizienteren Energieeinsatz, gezieltere Beschaffung und Abfallvermeidung bzw. bessere Abfalltrennung.

Das Green-ID-Zertifkat bietet die Möglichkeit zur Teilnahme an Best-Practice-Netzwerken im Bereich Green Radiology. Wir fühlen uns in der Abteilung und im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in einer Vorreiterrolle bei einem Zukunftsthema im Gesundheitswesen.

Zur Person

Dr. med. Julia Kalinka-Grafe, Mitglied in der Nachhaltigkeits-AG der DRG. Ärztliche Leitung Radiologie und Nuklearmedizin MVZ und GKH Havelhöhe. Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe ist das erste gemeinwohlökonomie-testierte Krankenhaus und macht sich als „climate friendly hospital“ auf den Weg, klimaneutral zu werden. Dabei benötigt es die Unterstützung aller Stationen und Bereiche. Als Abteilungsleitung sehe ich es als meine Verantwortung, einen Beitrag zu diesem Prozess zu leisten. Das GKH Havelhöhe wird unterstützt durch einen hauptamtlichen Klimamanager, Maurizio Bär, der den Prozess der Green-ID-Zertifizierung maßgeblich begleitet und unterstützt sowie inhaltlich zum Interview beigetragen hat.