INTERVIEW

„Nicht darüber reden, warum etwas nicht geht, sondern wie es geht“

Aus Anlass des „Internationalen Tages der Umwelt“ haben wir Dr. med. Kerstin Westphalen interviewt und mit ihr über Umwelt- und Klimaschutz und besonders über Nachhaltigkeit in der Radiologie gesprochen. Dr. Kerstin Westphalen ist Vorstandsmitglied der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), Sprecherin der internen Kommission „Nachhaltigkeit@DRG“, Kongresspräsdentin des 103. Deutschen Röntgenkongresses 2022 und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Therapie und Chefärztin am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie an den DRK-Kliniken in Berlin-Köpenick. Dr. Kerstin Westphalen ist Chefärztin am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie an den DRK-Kliniken in Berlin-Köpenick.

Frau Dr. Westphalen, Umweltschutz und Radiologie: Wie passt das aus Ihrer Sicht zusammen und warum ist das ein Thema für die Radiologie?
Um den Klimawandel aufzuhalten, ist der Umweltschutz in den nächsten Jahren die größte Aufgabe unserer Gesellschaft. Jede:r muss einen Beitrag dafür leisten, auch wir Mediziner:innen. Die Radiologie war schon immer ein sehr innovatives, zukunftsgerichtetes Fachgebiet, das sich neuen Aufgaben und Problemen gestellt hat und daher gehen wir auch diese Herausforderungen an.

Dr. Kerstin WestphalenDr. Kerstin Westphalen© DRK Kliniken BerlinIst das Thema Ihrer Ansicht nach bereits im klinischen Alltag angekommen und wenn ja, wie wird es dort konkret umgesetzt?
Es gibt bereits einige Kliniken, die sich das Ziel „Nullemissionen“ gesetzt haben und mit wenigen Veränderungen schon viel erreicht haben. Auch im ambulanten Bereich finden sich Kolleg:innen mit nachhaltigen Praxiskonzepten. Leider sind solche Beispiele aber noch Einzelfälle.

Wenn wir das Thema Umwelt auf den Bereich Nachhaltigkeit ausweiten – was sind für Sie die wichtigsten Säulen der Nachhaltigkeit in der Radiologie?
Nachhaltigkeit kann in die drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales unterteilt werden: In der ökologischen Dimension, welche uns allen wohl am ehesten präsent ist, geht es um einen verantwortungs- und rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt – Stichwort „Ressourcenschonung“. Die ökonomische Dimension zielt vor allem darauf  ab, dass wirtschaftliches Handeln nicht nur kurzfristig angelegt sein soll,  sondern Kontinuität und Stabilität aufweisen muss. Als letzte, dritte Dimension spricht man von „Sozialer Nachhaltigkeit“. Diese kann man für die Radiologie in Themen wie Ausbildungsmodelle, Wissenstransfer zwischen den Alters- und Berufsgruppen, Kommunikation mit Patient:innen (zum Beispiel patientenlesbare Befunde) sowie mit radiologischen und nicht-radiologischen Kolleg:innen und Angehörigen nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe übersetzen. Auch sollten wir hier den Punkt der klinischen Effektivität unseres Faches nicht außer Acht lassen. Dabei gibt es keine Dimension, die wichtiger ist als die anderen. Von einer nachhaltigen Radiologie kann nur dann gesprochen werden, wenn allen drei Dimensionen die gleiche  Gewichtung beigemessen wird. Bedeutend ist vor allem, den unauflösbaren Zusammenhang unter den Nachhaltigkeitsdimensionen zu verstehen.

Worauf müssen beispielsweise Kliniken, die nachhaltiger agieren wollen, achten? Was ist bei der Umsetzung besonders wichtig?
Oh, das ist eine unendliche Liste und das macht es leider auch so schwierig. Das wichtigste hierbei ist, einmal anzufangen, auch wenn es nur kleine Maßnahmen sind. Mit Blick auf das Thema Klimaschutz sind natürlich Maßnahmen zur Einsparung von Energie und damit CO2 von besonderer Bedeutung. Aber auch die Vermeidung von Abfall – vor allem aus Plastik – ist wichtig. Neuen, innovativen Ideen sind dabei keine Grenzen gesetzt, wie zum Beispiel mit einem Pfandflaschensystem für Kontrastmittel. Letztlich können diese Ansätze nur erfolgreich sein, wenn wir die Mitarbeiter:innen mitnehmen – durch Schulungen und eine wertschätzende Arbeitsatmosphäre.

Für Patient:innen sicherlich sehr interessant ist das Thema „soziale Nachhaltigkeit“. Wie könnte eine stärker an Patient:innen orientierte Radiologie aussehen?
Auch da gibt es natürlich viele Konzepte. Wir sollten vor allem  „sichtbarer“ für unsere Patient:innen werden und zum Beispiel die durch digitale Aufklärungsvideos und -bögen gewonnene Zeit für das Gespräch mit dem:der Patient:in nutzen. Auch die schon erwähnten „patientenlesbaren Befunde“ können zu einem besseren Verständnis und damit zu einer höheren Bindung beitragen.

Gibt es innerhalb des Gesundheitswesens noch andere Akteur:innen, die die Radiologie „ins Boot holen“ müsste, um nachhaltiger zu werden?
Natürlich können wir all die Dinge nicht alleine verändern. Wir brauchen eine Allianz mit der Politik, der Industrie, den Praxis- und Klinikleitungen sowie mit Medizinphysikexpert:innen, MTRA und weiteren Kolleg:innen. Dabei muss die Politik die Rahmenbedingungen im Sinne einer nachhaltigen Medizin/Gesundheit definieren. Die Industrie muss uns helfen Ressourcen, wie zum Beispiel Energie, Verpackungen und andere Rohstoffe, zu schonen. Ich sage ganz bewusst „muss“, da wir ansonsten bald umwelttechnisch mit dem Rücken an der Wand stehen werden.

Sie sind Mitglied im Vorstand der Deutschen Röntgengesellschaft – wie setzt sich die Deutsche Röntgengesellschaft für Nachhaltigkeit ein?
Die DRG hat in der Vergangenheit schon einiges für die Nachhaltigkeit getan, indem sie beispielsweise die Digitalisierung aller Mitgliederangelegenheiten vorangetrieben hat, einen nachhaltigen Wissenstransfer über die Akademie, den digitalen Röntgenkongress und die digitale Lernplattform conrad sicherstellt und durch feste Gremienbeteiligung des Forums Junge Radiologie an die nächste Generation denkt. Zukünftig gehen wir innerhalb der DRG mit dem Thema Nachhaltigkeit noch bewusster um: So haben wir eine Kommission „Nachhaltigkeit@DRG“ gegründet, mit der wir in Kürze an die Öffentlichkeit treten werden. Aus dieser Gruppe von engagierten Kolleg:innen wurde ein „Zehn-Punkte Plan für mehr Nachhaltigkeit@DRG“ erarbeitet, der bereits vom Vorstand verabschiedet wurde. Hier sind unter anderem CO2-Ausgleichzahlungen für Dienstreisen (mit Auto oder Flugzeug) als Ziel festgelegt worden. Auch sollen die in der Covid-19-Pandemie erfolgreich erprobten digitalen Gremiensitzungen weiter genutzt werden. Wir wollen mit der Kommission für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren, Informationen bereitstellen und Kolleg:innen begeistern mitzumachen. Zudem denken wir darüber nach, ein DRG-Gütesiegel für „Nachhaltige Radiologie“ zu entwickeln, um diejenigen auszuzeichnen, die bestimmte nachhaltige Ziele beziehungsweise Kriterien erreicht haben.

Der nächste Deutsche Röntgenkongress, den die Deutsche Röntgengesellschaft ausrichtet und dem Sie als Kongresspräsidentin vorstehen werden, steht unter dem Motto „Vielfalt leben – Zukunft gestalten“ und wird sich schwerpunktmäßig mit den Themen Diversity und Nachhaltigkeit befassen. Wie wird sich etwa das Thema Nachhaltigkeit im Kongress widerspiegeln?
Wir planen spannende Highlight-Sessions zu allen Dimensionen von Nachhaltigkeit und auch die DRG-Arbeitsgemeinschaften sind dazu angehalten, den Nachhaltigkeitsgedanken mit ins Fortbildungsprogramm zu tragen. Das Thema Nachhaltigkeit ist übrigens eng mit der Förderung von Diversity verknüpft: Langfristig werden sowohl die DRG als Fachgesellschaft als auch die Radiologie insgesamt nur erfolgreich sein können, wenn wir einer modernen Gesellschaft entsprechend auch die Talente von bisher noch unterrepräsentierten Gruppen stärker für unser Fach nutzen.   

Eine abschließende Frage: Warum haben Sie sich das Thema Nachhaltigkeit als einen der Schwerpunkte für „Ihren“ Kongress ausgesucht? Warum liegt Ihnen dieses Thema besonders am Herzen?
Sie merken an meinen Antworten hoffentlich, dass ich mich schon viel mit diesem Thema auseinander gesetzt habe, da es eine Herzensangelegenheit von mir und meiner Familie ist: Einer meiner drei Söhne studiert „Nachhaltiges Management“, mein Mann ist Architekt und wir diskutieren schon lange innerhalb der Familie, was wir dazu beitragen können, die CO2-Ziele laut Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Frei nach dem Motto: Nicht darüber reden, warum etwas nicht geht, sondern wie es geht – also ganz innovativ-radiologisch gedacht!

Eine Pressemitteilung zum Thema Nachhaltigkeit und Radiologie finden Sie hier.